Warum ich als Webdesigner Projektanfragen ablehne

Lange Zeit habe ich es um jeden Preis vermieden, Projektanfragen abzulehnen. Bloß keinen Deal durch die Lappen gehen lassen, koste es, was es wolle. Dabei verzettelte ich mich total und verlor auch langsam die eigene Unternehmensidentität. Plötzlich war ich nicht nur Webdesigner, sondern auch Grafikdesigner, IT-Experte und sollte 3D-Animationen erstellen. Diese Zeit habe ich längst hinter mir gelassen. Heute fällt es mir deutlich einfacher, auch mal "Nein" zu sagen und eine Anfrage abzulehnen. Was ich aus dieser damaligen Zeit gelernt habe, liest du in diesem Artikel.

Veröffentlicht am
21
.
October
2021
Aktualisiert am
.
Lesedauer
8 Minuten
Kategorie
Business
Darum gehts
  • Es ist vollkommen in Ordnung Projektanfragen abzulehnen - die Gründe dafür können unterschiedlicher Natur sein
  • Im Fokus sollte immer der Kunde stehen, auch wenn dies bedeutet, dass ich aufgrund fehlender Erfahrung oder Kenntnisse eine Zusammenarbeit ablehnen muss
  • Vor jedem Erstgespräch reflektiere ich die Situation und schaue, ob ich zwingend auf das Projekt angewiesen bin

Keine zeitlichen Kapazitäten für ein weiteres Projekt

Für alle Menschen auf der Erde hat der Tag leider nur 24 Stunden - nicht weniger nicht mehr. Im Durchschnitt schlafen wir davon acht Stunden, verbringen weitere Stunden mit Familie und Freunden, gehen unseren Hobbys und Wünschen nach. Meine Arbeitszeiten liegen bei rund 8-10 Stunden am Tag, fünf Mal die Woche. 40% dieser Zeit geht dabei für eigenen Kram drauf: Blogartikel schreiben, Finanzen managen, Weiterbildung und die Pflege meiner Website.

Ein großer Teil der Zeit geht für Kundenprojekte drauf. Trotzdem sind diese Web-Projekte meist sehr umfangreich, sodass ich nicht mehr als zwei Projekte gleichzeitig bearbeite. Meine Kunden sollen die bestmögliche Aufmerksamkeit erhalten, denn sie verdienen diese. In meinem Anfrageformular muss der Nutzer* die Frage nach dem Zeitrahmen beantworten. Dabei hat er folgende Optionen:

  • Design-Sprint: 2 Wochen
  • 1-3 Monate
  • 3-6 Monate
  • 6+ Monate

80% aller Projekte sollen dabei in den nächsten drei Monaten fertig sein. Schwierig, solche Aufträge im Voraus zu kalkulieren und planen, sodass ich vorwiegend mit Kunden zusammenarbeite, welche ihre Projekte mit einigen Monaten Vorlaufzeit planen.

Meine Spezialisierung lässt es nicht zu

Für einen Selbstständigen ist eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Gebiet extrem wichtig. Umso tiefer diese geht, desto besser. Beispiel: Ich bin Designer, Webdesigner. Ich betreue vorwiegend kleine und mittlere Unternehmen.

Damit stelle ich mich relativ breit auf, denn viele meiner Kollegen arbeiten ausschließlich mit einer Branche zusammen. So gibt es einen UX-Designer in meinem Bekanntenkreis, welcher ohne Ausnahme mit Fashion Online-Shops zusammenarbeitet. Auf diesem Gebiet ist er ein absoluter Experte, denn Mode ist ein großes Hobby.

Vor einigen Monaten habe ich gemerkt, dass ich mich weiter spezialisieren sollte, um einen definierten Kundenkreis aufzubauen. In diesem Zug habe ich mich für den Einsatz einer bestimmten Software entschieden: Webflow CMS. Ich lehne also grundsätzlich Projektanfragen ab, wenn Kunden sich andere Systemlösungen wie beispielsweise WordPress oder TYPO3 wünschen. Zwar habe ich in beiden Bereichen umfangreiche Kenntnisse, jedoch kenne ich die Vorzüge von Webflow im direkten Vergleich und die Arbeit macht auch mehr Spaß.

Eine andere Person ist geeigneter als ich

Dieser Punkt kann gleich mehrere Gründe haben. Manchmal komme ich bei einem technischen Projekt selbst an meine Grenzen und muss mir Rat von anderen Webdesignern oder Webentwicklern holen. Merke ich im Erstgespräch mit einem Kunden, dass es sich um ein sehr komplexes und umfangreiches Projekt handelt, spiele ich stets mit offenen Karten und zeige meine Bedenken, dass ich der richtige Ansprechpartner bin. In diesem Fall biete ich kompetente Unterstützung aus meinem Netzwerk oder befreundeten Agenturen an, welche die Kapazitäten oder das Know-how haben, um das Projekt erfolgreich umzusetzen.

Natürlich könnte ich jedes Projekt nach dem Prinzip "Fake it till you make it" annehmen und krampfhaft umsetzen, aber will ich das? Nächtelang nach einer halbherzigen Lösung suchen, ist nicht mein eigener Anspruch und soll es auch niemals werden.

Ein weiterer Grund kann fehlendes Branchenwissen sein. Ich habe jahrelang für einen Softwareanbieter im Baubereich gearbeitet und kenne die gängigen Begrifflichkeiten. Daher ist eine Konversation mit einem Bauunternehmen oder Architekten kein Problem für mich. Ich kenne die meisten Anforderungen an eine Website und weiß, in welche Richtung das Design gehen wird. Hingegen habe ich zum Beispiel keine Ahnung von Kosmetik, kann aber auf eine Person in meinem Netzwerk zurückgreifen, welche sich auf diese Branche spezialisiert hat. Diese vermittle ich dann sehr gerne an den Kunden weiter.

Manchmal ist es aber auch die Branche an sich, die einfach nicht in den eigenen Kram passt. So möchte ich beispielsweise nicht mit Unternehmen zusammenarbeiten, welche ihre Umsätze mit Glücksspiel erwirtschaften. Kenne ich einen Dienstleister, welcher gerne mit dieser Branche kollaboriert - perfekt. Da bin ich der letzte Mensch der Welt, der keine Brücke zwischen diesen beiden Parteien schlägt.

Artikel-Empfehlung: Webdesign-Projekt zu vergeben: Freelancer oder Agentur? →

Das Zwischenmenschliche passt nicht

Eine gute Zusammenarbeit zwischen Freelancer und Auftraggeber ist gar nicht so einfach zu definieren. Am Anfang meiner Selbstständigkeit brachte ich meine Gedanken zu Papier. Ziel war es, den perfekten Kunden zu beschreiben. Hier ein kleiner Auszug von damals:

  • Kommunikation auf Augenhöhe
  • Vertrauen in meine Fähigkeiten / Expertenwissen
  • Angemessene Bezahlung
  • der Kunde sieht den Wert meiner Arbeit
  • Einhaltung der Deadlines

Lehne ich eine Projektanfrage ab, weil beispielsweise das finanzielle nicht 100% passt? Oder weil der Kunde Unterlagen mal eine Woche später abliefert als abgemacht? Auf keinen Fall, denn die obigen Punkte definieren den für mich perfekten Kunden. Trotzdem sollte die Mehrheit dieser Vorgaben erfüllt werden - ansonsten steigt das Frustrationslevel und alle Seiten sind große Verlierer in diesem Projekt.

Mir fehlen einfach die Fachkenntnisse

Nobodys perfect und auch ich bin kein allwissender Mensch. Wenn also eine Anfrage ins Postfach trudelt, welche technisch einfach weit über meinem Level ist, dann bedanke ich mich herzlich und lehne diese ab. Bringt ja weder mir noch dem Kunden etwas, wenn ich da wochenlang ohne große Ergebnisse versuche, etwas zu erschaffen, was nur schlecht sein kann.

Werde ich in einem Webprojekt als Projektmanager gebucht, so sieht die Welt wieder ganz anders aus. Die Koordination zwischen verschiedenen Disziplinen liegt mir sehr gut, denn die meisten Arbeitsgebiete habe ich selbst durchlaufen, sodass wir die gleiche Sprache sprechen.

In solchen Momenten ist es enorm wichtig, offen zu kommunizieren, dass man an die Grenzen der Fähigkeiten gelangt. Das ist normal und kein Grund, sich vor einem Kunden zu schämen oder schlecht zu fühlen, schließlich können wir nicht alle Entwickler bei facebook oder Google sein. Als ich 2019 eine Projektanfrage von einem Hotel im Ausland erhielt, war ich erst einmal gespannt.

Wir sprachen über die Projektziele der neuen Website, welche Technik verwendet werden soll und was der Nutzer alles machen kann. Dieses ganze Projekt nahm aber komplett übertriebene Züge an, sodass ich es ablehnen musste - einfach weil ich nicht zu 100% garantieren konnte, dass ich alle Voraussetzungen perfekt umsetzen kann.

Das Investment stimmt nicht

Ich will hier nichts schönreden: Geld spielt immer eine Rolle. Zwar keine entscheidende, aber dennoch keine unerhebliche. Am Ende des Tages müssen wir alle unsere Miete, Lebensmittel und vieles mehr bezahlen. Für gewöhnlich rechne ich meine Arbeit nicht mit einem Stunden- oder Tagessatz ab, sondern gebe meinen Kunden im Vorfeld einen Festpreis. An diesem Preis halte ich dann auch fest, sofern keine zusätzlichen Leistungen während des Projektes erbracht werden.

Hin und wieder erhalte ich Anfragen, ohne dass sich der Kunde überhaupt Gedanken über den Wert einer Website und ein Projektbudget gemacht hat. Das vermittelt schnell den Eindruck, dass der Kunde auch keinen spezifischen Grund für eine neue Website hat oder besser gesagt: Er kennt den wahren Grund vielleicht nicht. Gerade zu Beginn meiner Selbstständigkeit habe ich oft Anfragen mit "Ich möchte eine schönere Website haben." erhalten. Die richtigen Probleme löst ein schönes Webdesign aber nur in den seltensten Fällen.

Eine gute Dienstleistung kostet Geld und sollte daher auch vernünftig bezahlt werden. Ein ordentlicher Webdesigner wird dir schnell klarmachen, dass es sich dabei um keine Ausgabe, sondern um eine Investition handelt. Eine neue Website soll immer die Unternehmensziele unterstützen und somit in den meisten Fällen für eine Umsatzsteigerung sorgen.

Chris Do von The Futur bringt es in einem spannenden Video auf den Punkt: Können wir Designer ein 100.000 Dollar Problem mit einer Investition von gerade einmal 1000 Dollar lösen? Wohl kaum. Leider habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass Kunden die bereits mit einem günstigen Webdesigner zusammengearbeitet haben, nicht zufrieden waren und nun investieren möchten, um eine gewisse Qualität zu erhalten.

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BATNA

BATNA ist die Abkürzung für Best Alternative to a Negotiated Agreement. Vor jeder Preisverhandlung wiege ich die Optionen ab. Was ist eine Alternative zum anstehenden Projekt? Was passiert, wenn der Kunde und ich uns nicht einig werden können? Welche Möglichkeiten habe ich dann?

Beispiel 1: Ein Webdesigner erhält eine Projektanfrage von einem Kunden. Das Geschäft läuft derzeit nicht so gut wie in den Monaten zuvor, sodass diese Anfrage die einzige seit vier Wochen ist. Der Bedarf für den Designer ist also besonders groß, denn auch er muss seine Rechnungen begleichen und andere Projekte sind zurzeit nicht in Sicht. Er wird sich nach einem Angebot also sicherlich noch einmal herunterhandeln lassen. Die BATNA des Webdesigners sind weiterhin auf Projekte warten, Werbemaßnahmen schalten oder irgendwie auf sich und seine Dienstleistungen aufmerksam machen. Nichts davon bringt sofort Geld ein.

Beispiel 2: Der oben genannte Webdesigner erhält in einer Woche drei qualifizierte Projektanfragen. Ein Projekt kann er annehmen, denn er arbeitet noch an zwei weiteren Aufträgen. Die BATNA ist enorm gut, denn er kann die drei Anfragen unbewusst gegeneinander ausspielen und somit den Preis bestimmen. Falls eine Verhandlung scheitert, so hat er noch zwei weitere Kunden in der Hinterhand.

Nach jeder Projektanfrage stelle ich mir die BATNA-Frage. Was ist die passende Alternative? Brauche ich den Auftrag derzeit wirklich oder wäre dieser nur nice-to-have? Sich dem bewusst zu werden, ist sehr wichtig, denn nahezu jeder Selbstständige wird mal hervorragende und weniger gute Monate in seiner Karriere haben.

Fazit

Eine Projektanfrage abzulehnen ist weniger schlimm, als ich früher gedacht hätte. Ich habe im Laufe der Zeit eine Menge gelernt und kann über den alten Steve manchmal nur schmunzeln. Glücklicherweise kann ich über meine Website ganz gut filtern, sodass die meisten Projektanfragen qualitativ hochwertig sind und ich selten Anfragen ablehnen muss.

Wichtigstes Verhalten: Sei immer freundlich. Der Kunde macht sich die Mühe, um dir eine Anfrage zu senden und vertraut auf deine Expertise. Daher solltest du allen Respekt aufbringen, um das Projekt abzulehnen. Vielleicht gibt es ja auch jemanden in deinem Netzwerk, der sich über dieses Projekt freuen würde.

Steve von wyreframe
Webdesigner
* Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen wird zwar nur die männliche Form genannt, stets aber die weibliche Form gleichermaßen mitgemeint. Menschen jeglichen Geschlechts sind mir als Leser*innen herzlich willkommen 🌈❤️

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