6 Mythen und Vorurteile über Freelancer

In den Jahren, in denen ich jetzt schon als Webdesign-Freelancer unterwegs bin, wurde ich mit einigen Fragen und Vorurteilen konfrontiert. Es wurde also Zeit, mit diesen Themen umzugehen und transparent zu zeigen, ob sie der Wahrheit entsprechen oder frei erfunden sind.

Veröffentlicht am
19
.
January
2022
Aktualisiert am
.
Lesedauer
11 Minuten
Kategorie
Freelancing
Darum gehts
  • Sprüche, die ein Freelancer in seinem Berufsleben häufig hören wird
  • Warum wir nicht alle in der Altersarmut landen werden
  • Die Wahrheit hinter diesen Vorurteilen und wie du sie im Gespräch sofort kontern kannst

01 Freelancer sind schwer greifbar und kaum zu erreichen

Anders als ein großes Unternehmen sind die meisten Freelancer komplett auf sich allein gestellt, verzichten also auf Annehmlichkeiten wie Telefon-Antwortservice und Bürokraft. Gerade während intensiven Projekten kann es dazu kommen, dass der Freiberufler nur schwer zu erreichen ist und verzögert auf eingehende E-Mails antwortet.

Dies führt auf beiden Seiten zu Stress, denn auch der Kunde erwartet eine gute Erreichbarkeit und schnelle Antwortzeiten - das eigene Problem ist immer das größte und dringendste! ;-)

Mein Learning: Als Webdesigner nehme grundsätzlich nicht mehr als zwei Projekte zeitgleich an. Dadurch kann ich wirklich intensiv an einem Projekt arbeiten und dem Kunden eine feste und verbindliche Roadmap an die Hand geben. Zusätzlich setze ich auf regelmäßige Meetings / Calls, um die offenen Punkte zu besprechen und für aufkommende Probleme schnelle Lösungen zu finden. Eingehende Mails werden bei mir in einem definierten Zeitrahmen täglich abgearbeitet.

Was ist dran? Ich schätze, diese Aussage trifft zu 50% zu, denn viele Freelancer sind wirklich schwer erreichbar und reagieren nur verspätet auf Nachrichten und sogar Projektanfragen. Meist sind sie so gut mit Aufträgen ausgelastet, dass sie außerhalb ihrer Kundenprojekte keinen großen Wert auf Mails legen.

02 “Du wirst später in die Altersarmut rutschen” - Rente & andere Abgaben als Freelancer

Die Sache mit der Vorsorge ist für jeden Selbstständigen ein extrem wichtiges und sensibles Thema. Gerade in jungen Jahren legen viele Menschen noch keinen großen Wert auf die Zukunft, verwalten ihre Einkünfte mit begrenzter Weitsicht. Laut einer Postbank-Analyse verzichten 56 Prozent aller Selbstständigen und Freelancer auf den Ausbau ihrer privaten Vorsorge und weiteren Assets, um für das Alter gewappnet zu sein.

Die Angst vor Altersarmut ist bei vielen Selbstständigen definitiv vorhanden und ein immer größer werdender Teil spricht sich für eine Vorsorgepflicht aus.

In Deutschland haben Selbstständige im Vergleich zu Arbeitnehmern nur wenige Pflichten. Sie zahlen nicht in die Rentenkasse, sondern müssen sich selbst mit dieser Thematik befassen und vorsorgen. Als Webdesigner gibt es die Möglichkeit, Teil der Künstlersozialkasse (KSK) zu werden, um auf diesem Wege in die Rentenkasse einzuzahlen.

Ebenso gibt es andere Versorgungswerke, die für manche Freelancer aus verschiedenen Branchen infrage kommen können.

Mein Learning: Mit 33 Jahren gehöre ich schon nicht mehr zu den ganz jungen Freelancern in der Webdesign-Branche. Daher ist auch das Thema Vorsorge ein präsentes in meinem Kopf. In der Vergangenheit habe ich als Vollzeit-Angestellter brav in die Rentenkasse eingezahlt. Als Webdesign-Freelancer entfällt dies, sodass ich derzeit nach langfristig sicheren Optionen suche.

Was ist dran? Ernsthafte Probleme im Alter sind bei vielen Freelancern keine Seltenheit mehr und viele unterschätzen diese Problematik ungemein. Fast ein Viertel aller Selbstständigen rutschen in die Altersarmut und werden dadurch auch zum Fall des Sozialstaates.

03 Der Kostenfaktor ist deutlich höher als bei einem Angestellten

Das Gerücht, dass ein Freelancer deutlich mehr kostet als ein Angestellter, hält sich bis heute hartnäckig. Dabei wird zu schnell auf die nackten Zahlen geschaut und nicht das große Ganze betrachtet. Ein angestellter Arbeitnehmer kostet das Unternehmen neben den normalen Gehaltszahlungen beispielsweise auch anteilig die Sozialversicherung, bestehend aus Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.

Der Freelancer ist für diese Kosten selbst zuständig und muss diese in sein Angebot bzw. Stundensatz einberechnen. Zudem bietet ein Freischaffender eine deutlich höhere Flexibilität. Er kann für bestimmte Projekte oder auch nur Projektabschnitte hinzugezogen werden, wohingegen das deutsche Kündigungsrecht offenkundig komplexer ist.

Meine Erfahrung: Ich habe in meiner Karriere als Webdesigner schon viele Arbeitsweisen hinter mir. Mal wurde ich als Freelancer für einen kleinen Teil des Projektes gebucht oder aber für eine langfristige Zusammenarbeit, um die Unternehmensziele des Kunden zu erreichen. Ich habe das Gefühl, dass in internen Teams Projekte sich häufig in die Länge ziehen oder gar ganz auf der Strecke bleiben.

Hier kommt die Stärke eines externen Freelancers voll zur Geltung. Mit einem Projektvertag und einem festen Budget wissen sowohl Auftraggeber als auch Freiberufler, woran sie arbeiten und wie die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit aussehen.

04 Freelancer haben wenig Interesse an deinem Unternehmen, weil sie Einzelkämpfer sind

Ein nachvollziehbares Vorurteil gegenüber Freelancern ist, dass sie den Kunden nur als Cashcow betrachten und von einer Rechnung zur nächsten denken. Die persönliche Beziehung und der Austausch bleiben dabei auf der Strecke. Dies hält viele Unternehmen davon ab, sich ernsthaft mit einer Freelance-Partnerschaft zu beschäftigen. Ähnliches bekommt man bei der Zusammenarbeit mit Werbeagenturen nachgesagt.

Dabei gibt es durchaus Freischaffende, welche großes Interesse an verschiedenen Branchen haben und für solche Aufträge alles andere fallen lassen würden. Diese Menschen befassen sich auch in ihrer Freizeit mit diesen Themen, begeistern sich tagtäglich dafür. Sie werden die allerbeste Arbeit abliefern, weil sie für ihre Interessen brennen und Teil davon sein möchten. Der Aspekt des Geldes ist dabei reine Nebensache, an vorderster Front steht der Spaß.

Mein Learning: Ich nehme mittlerweile nur noch Projekte an, bei denen ich mich zu 100% wohl fühle und ein intaktes Team vorfinde. Die Aufgabe muss einen bestimmten Reiz haben, die Branche zu meinen eigenen Werten passen. So durfte ich als absolute Reise-Fan in der Vergangenheit mit tollen Brands wie Virgin Atlantic oder verschiedenen Tourismus-Boards zusammenarbeiten. Du kannst dir sicherlich denken, dass ich mehr als "ein wenig" Interesse an den Unternehmen hatte.

05 Freelancer haben kein festes Einkommen

Auch in diesem Punkt muss ich den direkten Vergleich zum angestellten Arbeitnehmer ziehen. Dieser erhält jeden Monat ein fixes Gehalt und eventuelle Boni. Die Fixkosten sind dabei hoffentlich durch das Grundgehalt abgedeckt. Hingegen der Freelancer je nach Auftragslage bezahlt wird.

Besonders während der Covid-19-Pandemie sind so viele Selbstständige auf die schiefe Bahn gelandet und mussten sich verschulden, um über die Runden zu kommen. Aus meinem Bekanntenkreis habe ich Geschichten gehört, wo selbst längst vereinbarte Projekte plötzlich abgesagt und storniert wurden.

Mein Learning: Eine gesunde finanzielle Situation ist mir als Webworker besonders wichtig. Mein Ziel ist es dabei bis zu sechs Monate ohne Einkünfte leben zu können. Dies nimmt den Druck aus dem täglichen Geschäft Umsätze zu generieren und gibt mir die Freiheit, Anfragen abzusagen. (Leseempfehlung: Warum ich als Webdesigner Projektanfragen ablehne →)

Und auch die Steuerzahlungen sind immer wieder ein sensibles Thema bei vielen Freelancern. Hier ist meine Empfehlung ganz klar: Suche einen vernünftigen Steuerberater, welcher dich umfangreich berät und Ahnung von deiner Branche hat. Besonders wenn du Dienstleistungen ins (EU-) Ausland verkaufst, kann es große Steuerunterschiede geben.

Was ist dran? Diese Aussage ist ohne Frage mehr als nur ein Gerücht, denn viele Freelancer durchlaufen in ihren Jahren häufiger kleine Durststrecken. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell Aufträge und somit sicher eingeplantes Geld wegbrechen können. Mit diesem Risiko müssen wir leben.

Durch langfristige Partnerschaften lässt sich die Gefahr teilweise minimieren. Besonders IT-Freelancer arbeiten über mehrere Monate oder gar Jahre hinweg an einem Projekt und erzielen auf diese Weise einen regelmäßigen Cashflow.

06 Selbstständige haben eine katastrophale Work-Life-Balance

Das Horrorszenario von 80+ Arbeitsstunden in der Woche kenne ich nur von ausländischen Freelancern im Finanzsektor - oder aber von Dienstleistern, die sich gnadenlos verschätzt haben und mehrere Projekte gleichzeitig fertigstellen müssen. Ansonsten freuen sich die meisten Freischaffenden über die Vorteile ihrer Selbstständigkeit: Urlaub nach eigenem Ermessen, freie Einteilung der Arbeitszeiten und natürlich die allgemeine Flexibilität, was den Arbeitsort betrifft. (Leseempfehlung: Home Office vs Coworking Space: Warum Heimarbeit kein Thema mehr ist →)

Da ich auch als Angestellter den Vorteil der freien Arbeitszeiteneinteilung hatte, war diese Umstellung nur minimal für mich. Der für mich größte Gamechanger ist die Urlaubsplanung. Ich kündige die Urlaube bei meinen Kunden an und sitze entspannt im Flieger. Eingehende Mails werden nicht bearbeitet, ich bin quasi abgemeldet. Für dringende Fälle gibt es einen Notfallkontakt, welcher jedoch auch vom Kunden bezahlt werden muss.

Unter der Woche arbeite ich weniger als im Angestelltenverhältnis, Freitag ist für mich sogar komplett gestrichen. Dafür startet meine Arbeitswoche bereits am Sonntag, wo ich die Aufgaben, die eine hohe Konzentration benötigen, schnell und ohne eingehende Anrufe abarbeiten kann. Als Webdesigner beschäftige ich mich regelmäßig mit aktuellen Themen und lege großen Wert auf Weiterbildung, welche mittlerweile zur täglichen Routine gehört.

Selbstverständlich gibt es auch stressige Phasen, besonders wenn ein Projekt vor dem Abschluss steht oder ein Website-Launch nicht wie geplant funktioniert. Diese Zeiten sind in meinem Business jedoch definitiv die Ausnahme.

Mein Learning: Ich setze mich jede Woche hin und plane die anstehenden Aufgaben, schätze den Zeitaufwand und kalkuliere auf diesem Wege meine Arbeitstage. Dadurch befasse ich mich bereits mental mit den Projekten und kann die Aufwände immer besser einschätzen.

Was ist dran? Mein Empfinden nach nicht viel. Laut einer Statistik von freelancermap.de arbeitet der typische Freelancer 47,15 Stunden in der Woche. Neben der eigentlichen Arbeit müssen aber auch Themen wie Buchhaltung, Kundengewinnung, Marketing und Weiterbildung in diese Zeit untergebracht werden.

Fazit

Als ich mich vor fünf Jahren selbstständig machte, waren die Sorgen von Freunden und Familie groß. Zu viel Risiko. Warum nicht in einem normalen Job bleiben und dort die Karriereleiter besteigen? Natürlich stellte ich mir all diese Fragen auch und befasste mich mit vielen Vorurteilen.

Durch meinen Vollzeitjob hatte ich keinen Druck von heute auf morgen Umsätze zu machen. Mit der Zeit lernte ich aber, dass die meisten Vorurteile einfach nicht stimmen - jedenfalls nicht in ihrer Intensität. Und auch heute denke ich: Wie oft tritt schon der Worst Case ein? Und was ist das Schlimmste, was uns Freelancern passieren kann? Die Vorteile überwiegen und ich bereue den Schritt in die Selbstständigkeit in keiner Sekunde.

Steve von wyreframe
Webdesigner
* Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen wird zwar nur die männliche Form genannt, stets aber die weibliche Form gleichermaßen mitgemeint. Menschen jeglichen Geschlechts sind mir als Leser*innen herzlich willkommen 🌈❤️

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